Here is an English version of this interview.
Die Lausitzer Rundschau ist eine deutsche Regionalzeitung und seit längerem Twingly-Partner. Im Interview berichtet Benjamin Marx, Leiter des Onlinebereiches der Zeitung sowie stellvertrender Chefredakteur, welche Rolle Social Media für den Verlag spielt, wie die Lausitzer Twingly einsetzen und auf welche Weise die Interaktion mit den Lesern erhöht werden soll.
Hallo Benjamin. Bitte erzähle uns kurz, wer du bist und was du machst.
Gern. Ich bin ausgebildeter Redakteur, habe Orientalistik studiert und auch als Webprogrammierer gearbeitet. Nach Tätigkeiten sowohl im journalistischen Bereich u.a. als Auslandsreporter im Nahen Osten als auch im Web- und Portalbereich konzentrierte ich mich auf die Beratung rund um Crossmedia- und Onlinestrategien. Eines Tages bekam ich das Angebot, in dieser Rolle für die Lausitzer Rundschau tätig zu sein, das ich annahm. Nach etwa acht Wochen wurde ich gefragt, ob ich nicht die Leitung des Onlinebereiches übernehmen möchte. Ich sagte zu, und mittlerweile – seit Januar – bin ich zudem stellvertretender Chefredakteur und beschäftigte mich in diesem Zusammenhang mit der cross- und multimedialen Weiterentwicklung der Redaktion.

Wie beurteilst du die Zukunftsaussichten der Zeitung?
Eines der Kernelemente der Arbeit unserer Zeitung ist seit 65 Jahren die lokale Berichterstattung, und ich glaube, dass hier auch für Onlinezeitungen die große Chance liegt. Speziell von einer Regionalzeitung wie der Lausitzer Rundschau erwarten die Leser, dass sie beleuchtet, was in ihrer unmittelbaren Umgebung geschieht, lokale Ereignisse hinterfragt und den Entscheidern auf die Finger schaut. Die Fragen, die man sich aktuell stellen muss, sind die, wie der Content zukünftig konsumiert wird, und wie man das Geschäftsmodell anpasst, so dass man sich auch weiterhin das wichtige Netzwerk an Redakteuren und Reportern leisten kann.
Welches Ziel verfolgt ihr mit eurer Onlinestrategie?
Wir möchten, dass unsere neuen Medienkanäle für die Leute eine sehr hohe Relevanz haben. Wenn man den Wert des Inhalts steigern will, was ja die Voraussetzung dafür ist, dass Leser theoretisch für diesen Geld zahlen, muss man den Mehrwert für das Individuum in den Mittelpunkt stellen. Auf den reinen Nachrichtenwert der lokalen News kann man keine große Exklusivität beanspruchen. Die Zeit, in der man eine Meldung allein hat, ist sehr kurz. Wir versuchen, den Lesern einen Wert zu bieten, der über die Nachricht hinausgeht – durch Hintergrundinformationen, die sie an anderer Stelle nicht bekommen. Als Regionalzeitung besitzen wir ein enges Kontakt- und Informantennetzwerk in der Umgebung. Essentiell ist aber, zu wissen, was die Leute interessiert und was relevant für sie ist. Und da bietet das Web natürlich hervorragende Möglichkeiten. Leserbriefe sind die wohl älteste Interaktionsgattung, die wir im Journalismus haben – Kommentare oder Blogbeiträge führen diesen Gedanken im Netz fort.
Ihr verfolgt also die Reaktionen eurer Leser genau?
Ja auf jeden Fall. Wenn wir über lokale Themen berichten, dann greifen einige Leser diese anschließend in ihren Blogs auf. Wir haben dann auch schon Blogger angesprochen und gefragt, ob wir deren Inhalte abdrucken dürfen, und die Debatte so wieder “eingefangen”.
Zum “Einfangen der Debatte” verwendet ihr ja auch Twingly…
Richtig, wir zeigen unterhalb unserer Artikel über das Twingly Blogstream-Widget, welche Blogs sich mit dem jeweiligen Beitrag auseinandersetzen. Das ist auch insofern interessant, als dass es ein guter Indikator für uns ist, welche Themen in der Blogosphäre auf besonders große Ressonanz stoßen, und welche weniger.
Wie beurteilst du die Entwicklung rund um Social Media?
Mir macht das Thema unheimlich Spaß. Gleichzeitig muss man sich immer überlegen, auf welchen Wegen man es in die redaktionelle Arbeit einbezieht. Große Bedeutung haben für uns Facebook und Twitter. Früher gab es ja bei Zeitungen den Trend, lieber eine eigene Online-Community einzurichten, aber bis auf wenige Ausnahmen hat dies eher schlecht funktioniert. Indem wir Teile der Diskussion zu Facebook, Twitter oder auch studiVZ auslagern, erübrigen sich viele Probleme, die man beim Betrieb einer eigenen Community hat, sowohl technischer als auch organisatorischer Natur. Was Social Media angeht, sind wir noch nicht da, wo wir eines Tages sein wollen, aber haben schon jetzt jeden Monat 5.000 Leser, die über soziale Medien zur Website der Lausitzer Rundschau kommen. Dabei handelt es sich vor allem um die Zielgruppe, die mit der klassischen Tageszeitung auf anderem Weg nicht in Kontakt kommt. Nicht selten erhalten wir auch Themenvorschläge und Hinweise über Facebook oder Twitter, woraus sich mitunter neue Geschichten und Reportagen ergeben.
Wie sieht der Journalist der Zukunft aus?
Es gibt in der brancheninternen Diskussion mitunter eine gewisse Tendenz, im Journalisten der Zukunft eine eiermilchlegende Wollsau zu sehen: Jemanden, der alle Kanäle, also Zeitung, Online, Radio und Fernsehen, gleichermaßen bedienen kann. Ich glaube nicht, dass es ganz so extrem kommt. Sicher muss auch ein Journalist der Zukunft – wie bisher auch – vielseitige Kompetenzen und Interessen haben und ein technischen Grundverständnis mitbringen, künftig noch stärker gerade in Bezug auf online und mobile. Aber ich denke, dass sich zwischen den bisherigen Rollen Editor und Reporter eine dritte Rolle künftig sehr viel stärker etablieren wird, die Rolle des technischen Producers – eine Person mit stärker technisch und gestalterisch ausgeprägtem Know-how, der die Inhalte entgegennimmt und für unterschiedliche Kanäle und Plattformen aufbereitet, Informationen visualisiert, der die Community z.B. über Kommentare und Social Media betreut, sich um Gewinnspiele kümmert, Dossiers und Meta-Informationen aufarbeitet und pflegt usw. Bei der Lausitzer Rundschau verdoppeln wir die Personalstärke in diesem Bereich bis etwa Mai.
Welche Visionen hast du für die Lausitzer Rundschau im Web?
Vor allem, auf möglichst vielen Plattformen vertreten zu sein und die Interaktion mit den Lesern zu erhöhen. Zur Zeit arbeiten wir an einer HTML5-Website, damit lr-online.de von beliebigen Endgeräten aus abgerufen werden kann. Ein anderes, ganz heißes Thema ist die Priorisierung von Inhalten anhand von Nutzeraktivitäten und -reaktionen. So sollen die Meinungen der Leser künftig noch stärker die Sichtbarkeit und Position des jeweiligen Beitrags auf unserer Website beeinflussen. Eine weitere Funktionalität, die wir anstreben, ist das kollaborative Bearbeiten von Artikeln ähnlich des Wikipedia-Prinzips: So wollen wir Lesern die Möglichkeit bieten, direkt in einem Text Änderungen vorzunehmen, diesen z.B. mit eigenen Informationen oder Hintergründen zu ergänzen. Ein solcher Ansatz ist sicher nicht ohne Risiken, weil Personen, über die berichtet wird, so selbst unliebsame Passagen entfernen könnten. Dennoch halten wir diese Art der Interaktion für ein spannendes Experiment und sind, wenn wir damit in diesem Jahr an den Start gehen, natürlich auch sehr auf die Reaktionen aus der Blogosphäre gespannt. Klar ist, dass wir diesen Prozess eng moderieren werden, um den Missbrauch so schwer wie möglich zu machen.